DOLORES RICHTER
Die Liebe ist ein Kunstwerk, das entblättert und gestaltet werden will.
Sie beginnt bei der Beziehung zu uns selbst. Sie entfaltet sich in der Begegnung und bekommt Substanz durch wache, eingefühlte Verständigung.
Sie wird tief und lebendig in einem Umfeld, in dem wir authentisch, selbstverantwortlich und mit anderen verbunden sind.
Liebesbeziehungen stehen heute unter einem hohen Erwartungsdruck. Dadurch fehlt Leichtigkeit, die ein wesentliches Glücksferment ist.
In einer Zeit, in der viele Gefüge ins Wanken geraten, braucht es soziale Erfindungen, die der Partnerliebe Raum für Entfaltung und Entspannung bieten; die Raum bieten für eine gesunde Bewegung zwischen Einlassen und Freilassen, Beweglichkeit und Verantwortung, Tiefe und Leichtigkeit.
In der Beziehungskunst lernen wir, Dynamiken in Liebesbeziehungen zu verstehen, zu durchbrechen und bewusst zu gestalten. Wir erfahren die Partnerliebe als Teil einer kollektiven Bewusstseinsevolution, in der es unendlich viel zu lernen und zu entdecken gibt. Dieser Weg basiert auf einer tiefen Kooperation von Frauen und Männern und einer respektvollen Haltung gegenüber dem eigenständigen erotischen Wesen eines jeden einzelnen Menschen. Wo dieser Respekt gegeben ist, können wir uns auf ungekannt tiefe Weise aufeinander einlassen.
Je mehr Wahrheit wir miteinander teilen können, desto erotischer fühlen wir uns miteinander. Wahrheit wird hier verstanden als unmittelbarer Kontakt, unverstellt von Konvention: Der magische Moment von Präsenz, in dem sein darf, was ist, und dies wahrgenommen wird, sei es Zuneigung, Widerstand, erotische Freude oder Scham. — Kontakt ist (noch) kein Ja, (noch) kein Nein. Es ist Dasein, ein Verweilen, bis die Wahrnehmung wahrgenommen ist. Diese Art von Kontakt fühlt sich an wie Liebe, ist Liebe. Sie lebt in diesem wachen Moment von entspannt-gespannter Aufmerksamkeit und ist zutiefst heilsam. Je mehr wir lernen, unsere Beziehungen auf dem Boden von Wahrnehmung und Kontakt zu entfalten, gewinnen sie an Leichtigkeit und Klarheit, an Nähe und Weite, an Herzensverbindung und sinnlicher Erfüllung.
Wir tragen Erfahrungen zusammen: Welche Liebesformen sind wodurch tragfähig? Welches Knowhow des Gelingens gibt es in offenen Beziehungen, Liebesnetzwerken, monogamen Beziehungen? Welche kollektiven Muster wirken in unseren Begegnungen, und wie tragen wir bei zu einem wilden Frieden zwischen Frauen und Männern?